46 Da sagte Maria:
46 Meine Seele preist voll Freude den Herrn, 47 mein Geist ist voll Jubel über Gott, meinen Retter.
48 Denn er hat gnädig auf seine arme Magd geschaut. Von nun an preisen alle Geschlechter mich selig.
49 Denn der Mächtige hat an mir Großes getan; sein Name ist heilig.
50 Er schenkt sein Erbarmen von Geschlecht zu Geschlecht allen, die ihn fürchten und ehren.
51 Sein starker Arm vollbringt gewaltige Taten: Er macht die Pläne der Stolzen zunichte.
52 Er stürzt die Mächtigen vom Thron und bringt die Armen zu Ehren.
53 Er beschenkt mit seinen Gaben die Hungrigen, die Reichen aber schickt er mit leeren Händen fort.
54/55 Er nimmt sich gnädig seines Knechtes Israel an, denn er denkt an das Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen, für ewige Zeiten.
Ich bin das Kopftuch der Maria. Mir ist ja wirklich Hören und
Sehen vergangen, als ich meine Maria dieses Lied habe singen
hören.
Ja, was ist denn eigentlich geschehen, dass meine Maria Gott so
preist? Ich möchte mich einmal erinnern:
Maria und ich arbeiteten im Haus. Maria stand am Herd und ich war
dabei, den Rauch des Feuers von ihren Haaren abzuhalten. Auf
einmal hören wir einen Gruß: Sei gegrüßt, Maria!" Maria ist
durch und durch erschrocken. Sie bebt bis in die Haarspitzen. Ich
bin auch noch ganz voll von diesem Beben. Du wirst einen Sohn
gebären!". Maria antwortet: Wie soll das geschehen. Ich lebe
doch mit keinem Mann zusammen?" - Und Gabriel - der Engel, der
uns da besucht hat - antwortet nochmals: Heiliger Geist und die
Kraft Gottes werden über dich kommen".
Und meine Maria antwortet: Mir geschehe, wie du es gesagt hast".
Und seither hat meine Maria diesen Satz immer wieder vor sich ihn gesagt: Mir geschehe nach deinem Wort." Und ich habe diesen Satz ganz in mich aufgenommen, ich kann mich ohne diesen Satz: Mir geschehe nach deinem Wort" gar nicht mehr vorstellen.
Aber wieso hat Gabriel eigentlich so reagiert?
Dazu muss ich berichten, dass wir zur Zeit bei Elisabeth sind.
Sie hat uns einige Tage später folgendes erzählt.
Zacharias, Elisabeths Mann, ist seit einigen Monaten stumm. Er
hat mühsam auf Täfelchen geschrieben, was ihm passiert war: Er
hatte Dienst im Tempel. Im innersten Raum hatte er ein Opfer
darzubringen. Auf einmal kam auch Gabriel, derselbe Gabriel, der
auch meine Maria und mich besucht hat, zu ihm: Dein Gebet ist
erhört worden", sagte er zu Zacharias. Deine Frau wird einen Sohn
gebären!" - Woran soll ich erkennen, dass das wahr ist?" hat
Zacharias zurückgefragt. Ich bin doch ein alter Mann und auch
meine Frau Elisabeth ist schon im vorgerückten Alter." - Ich bin
von Gott gesandt", hat Gabriel da geantwortet, um dir diese
Botschaft zu überbringen, aber weil du mir nicht geglaubt hast,
wirst du verstummen, bis alles so eingetreten ist, wie ich es dir
gesagt habe." - Und seither ist Zacharias verstummt.
Meine Maria hat da aber Glück gehabt: Sie hat doch auch zurückgefragt. Und sie ist von Gabriel nicht stumm gemacht worden. Maria sagte, ich lebe doch mit keinem Mann zusammen, und Zacharias, ich bin schon alt.
Aber ist denn Alter ein Grund zum Verstummen, um zum Verstummen gebracht zu werden? Da war meine Maria doch in viel größerer Gefahr: Ohne Mann schwanger in Nazareth, in Gefahr, als Ehebrecherin gesteinigt zu werden.
Nein Gabriel, du bist mir schon ein schwieriger Kerl. Dich verstehe ich nicht.
Halt! - Doch - entschuldige, Gabriel!
Zacharias blickt zurück. Er vergisst seine Hoffnung, die er
jahrelang gehegt hat. Trotz der Zusage Gabriels Dein Gebet ist
erhört worden", lebt er ohne Hoffnung. Er hat den Kern seiner
Hoffnung aufgegeben - wegen seines Alters. Er hätte doch am
Lebensende immer noch Zeit gehabt, Gott anzuklagen, weil er keine
Kinder bekommen habe. Aber die Hoffnung aufzugeben, lässt
verstummen. Das Vertrauen ins eigene Gebet aufzugeben, lässt
verstummen.
Ja, meine Maria, sie ist nicht verstummt. Sie hat dieses Lied
gesungen. Sie schaut nach vorne. Sie sagt nicht: Ich bin noch
zu jung. Ich bin doch in Nazareth blamiert. Ich bin in Gefahr,
als Ehebrecherin gesteinigt zu werden. Sie sagt nicht: "Kleine
Marias taugen nicht dazu, große Söhne zu gebären." Nein, sie
schränkt nicht ein, sie bremst nicht, sie hindert nicht. Sie
öffnet sich hin auf die Zukunft. Sie macht der Hoffnung Platz in
ihrem Leben. Und sie trägt diese Hoffnung auf Neues Leben seither
in sich.
Auf mich strahlt diese Hoffnung auch ab. Aber das neue Leben -
muss das denn besser sein als das alte? Nur, weil es neu ist? Ich
halte mich daran, wie Elisabeth und Maria dieses Neue besingen:
Das Neue fängt damit an, dass wir gesegnet sind. Das Neue fängt
damit an, dass wir Gottes Größe bejubeln. Dass Gott Großes an uns
getan hat und tut. Dass ein Kind geboren wird, auf das Maria so
gespannt wartet.
Ich vertraue darauf, dass mit diesem Kind dann noch viel mehr
Neues kommt! Neues, das bunt ist, das vielfältig ist. Und dass
das Neue ganz viele Überraschungen für uns bereithält, die für
uns gut sein werden.
Die Predigt wurde gehalten in einem Wortgottesdienst anläßlich der Verabschiedung einer Kollegin. am Fachbereich Praktische Theologie der Katholischen Fachhochschule Mainz
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