Auf Grund stoßen





Matthäusevangelium 16,13-20: 13 Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger: Für wen halten die Leute den Menschensohn? 14 Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. 15 Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? 16 Simon Petrus antwortete: Du bist der Messias, der Sohn deslebendigen Gottes!

17 Jesus sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. 18 Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. 19 Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.

20 Dann befahl er den Jüngern, niemand zu sagen, daß er der Messias sei.



Stationen: Die entscheidende Frage / Heftig umstritten / Das Zeugnis des Petrus / Damit der Mensch lebe / Was es zu entdecken gibt / Auf Grund stoßen

(1) Die entscheidende Frage. "Kaiser, Könige, Zaren haben unumschränkt geherrscht. Diktatoren, Führer und Duces ebenso." So beginnt der amerikanische Autor Charles Panati in seinem "Populären Lexikon religiöser Gegenwartsfragen" (auf deutsch erschienen 1998) den Abschnitt über das Papsttum in der katholischen Kirche. "Kaiser, Könige, Zaren, Diktatoren, Führer, Duces": In diese Reihe stellt Panati das Papsttum und spiegelt damit in zugespitzten Worten eine Stimmungslage wieder. Sie ist nicht nur bei den "Kirchenfernen" zu finden. Auch für viele kirchengebundene Katholikinnen und Katholiken ist Macht eines der ersten Wörter, das ihnen zum Papsttum einfällt. Die Geschichte des Papsttums widerspricht dem nicht. Erst in unserem Jahrhundert hat Papst Paul VI. die päpstliche Krone, die Tiara mit den drei Reifen, abgelegt. Mit ihren drei Kronreifen beanspruchte das päpstliche Priesterkönigtum das Recht, die drei Königreiche zu vergeben: der goldene Reif für die Kaiserkrone, der silberne für die deutsche Königskrone und der eiserne für die langobardische. Entscheidender aber als die Symbole einer längst versunkenen politischen Welt und ihrer Machtregionen ist die Frage nach der geistlichen Vollmacht des Papstes.

(2) Heftig umstritten. Nach dem Mattäusevangelium hat Jesus dem Petrus die Schlüssel des Himmelreichs anvertraut: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen." Diese Verheißung Jesu hat zu der Vorstellung geführt, daß Christus in Petrus so etwas wie einen Stellvertreter eingesetzt hat. Und daß dieses Amt seit dem Märtyrertod des Petrus in Rom auf jeden römischen Bischof übergeht. Für manche wurde der Papst so etwas wie der Pförtner des Himmels: Einer, der entscheidet, wer hineindarf und wer nicht. Die protestantischen Kirchen der Reformation, aber auch die orthodoxen Kirchen des Ostens haben diese Auslegung heftig in Frage gestellt. Ist nach all dem kirchenpolitischen Streit der Jahrhunderte noch zu erkennen, worum es in den Worten des Evangeliums geht? Drei Anstöße möchte ich Ihnen geben, wie wir den Dienst des Petrus nach dem Evangelium verstehen können.

(3) Der erste Anstoß: Das Zeugnis des Petrus. Die Verheißung Jesu an Petrus ist gebunden an das Bekenntnis, das Petrus im Namen der Jünger ablegt: "Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes." Jesus preist den Petrus selig: In Jesus den Sohn Gottes zu erkennen, das hat Petrus nicht gelernt und das hat ihm niemand gesagt. Das hat Gott selbst ihm offenbart. Die moderne Bibelwissenschaft geht deshalb davon aus, daß diese Szene die Zeit nach Ostern, die Auferweckung Jesu, voraussetzt. In dem gekreuzigten Jesus den Friedenskönig Gottes zu sehen, dafür braucht es Augen, die Gott selbst geöffnet hat. Petrus ist nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes der erste der Zwölf, der an Ostern dem Auferstandenen begegnet ist. Diese Bedeutung des Petrus erzählt das Mattäusevangelium in die Zeit des Lebens Jesu zurück. Auf dieses Zeugnis, auf diesen Glauben des Petrus ist die Kirche gebaut. Vom letzten Gläubigen bis zum Papst in Rom leben wir alle davon, daß das Zeugnis des Petrus wahr ist: Der Gekreuzigte lebt. Gott hat Jesus die Treue gehalten. Ein Papst ist kein Empfänger neuer Offenbarungen. Ein Papst ist auch kein Verteidiger aller möglichen Traditionen. Sondern ein Papst steht dafür ein, den Glauben aller Christen an das Zeugnis des Fischers Petrus zu stärken: Der Gekreuzigte lebt.

(4) Der zweite Anstoß: Damit der Mensch lebe. Jesus überträgt dem Petrus eine Vollmacht mit den Worten: "Was du auf Erden bindest, das soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden löst, das soll auch im Himmel gelöst sein." Binden und Lösen: Die Begriffe stammen aus der jüdischen Wurzel der Jesusgemeinde. Was die Rabbinen für die jüdischen Gemeinden sind, das sollen Petrus und seine Nachfolger für die Jesusgemeinde sein. Es ist deshalb nicht verkehrt zu fragen, wie die jüdischen Rabbinen ihre Autorität verstanden haben. Binden und Lösen: Das bedeutete für die Rabbinen die Vollmacht, die Offenbarung, die Tora des Mose, verbindlich auszulegen. Der oberste Leitsatz der rabbinischen Auslegung ist der Satz: "Die Gebote sind gegeben, damit der Mensch durch sie lebe." Der Vorrang des Lebens: Das wäre auch ein Motto nicht nur für die Amtsführung eines Papstes, sondern für unseren Umgang miteinander in Kirche und Gemeinde überhaupt. Und tatsächlich überträgt Jesus im Evangelium die Vollmacht zu binden und zu lösen nicht nur auf Petrus, sondern auch auf die ganze Jüngergemeinde. Es heißt im Evangelium deshalb auch: "Alles, was IHR auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles was IHR auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein" (Mattäus 18,19). Gottes Offenbarung ist kein toter Buchstabe, und Gottes Gebote sind keine tödliche Moral. Sie sind eine Weisung zum Leben, für jede Zeit in eigener Weise. Das ist Aufgabe des Papstes und zugleich der Dienst der ganzen Gemeinde: Den Menschen heute den guten Willen Gottes vor Augen zu führen: "Die Gebote sind gegeben, damit der Mensch durch sie lebe."

(5) Der dritte Anstoß: Was es zu entdecken gibt. Dort, wo uns das Mattäusevangelium den Jünger Petrus vor Augen führt, dort erzählt das vierte Evangelium von der Jüngerin Marta. Im Johannesevangelium ist es Marta, die Schwester des Lazarus, die das Bekenntnis zu Jesus ablegt: "Ja Herr, ich glaube: Du bist der Messias, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll" (Johannes 11,27) Anders als aus dem Bekenntnis des Petrus hat sich aus diesem Bekenntnis der Marta kein Marta-Amt in der Kirche entwickelt. Aber zumindest sollte nicht vergessen sein, daß die Kirche gegründet ist auch auf den Glauben und das Zeugnis von Frauen. Im Markusevangelium hören wir das Christusbekenntnis sogar aus dem Mund des Hauptmanns der römischen Folterknechte. Hier ist es ein Fremder, keiner, der überhaupt zur Gemeinde Jesu gehört, der in der Todesstunde Jesu das Bekenntnis ablegt: "Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn" (Markus 15,39) In dem Glaubenszeugnis der Frauen, in dem Glaubenszeugnis auch der "Kirchenfremden" das eigene Bekenntnis zu Jesus zu entdecken und zu hören, das ist eine Aufgabe auch für einen Papst heute.

(6) Auf Grund stoßen. Gott läßt sein Volk nicht im Stich. Keine kirchliche Verwaltung, sondern Gottes unwiderrufliche Treue ist der Felsengrund, auf dem die Kirche steht. Indem ein Papst, indem die Kirche sich an Gottes Treue hält, gilt ihr die Verheißung: Die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.

Der Abschnitt Mt 16,13-20 ist nach dem dreijährigen Lesezyklus der katholischen Kirche die Evangelienlesung für den 21. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A.




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