Matrix





Intellektuelle der Spätantike schauten mit Verachtung auf Menschen, die in ihren Augen nur über den Zugang zu einer einzigen Realität verfügten: Sie waren bloß "Psychiker", die das Heil in einer Welt erwarteten, die in den Augen der "Pneumatiker" nur eine niedere Stufe der Wirklichkeit war.
"Transhumanisten" heute erwarten von einer Verschmelzung der Menschen mit den elektronischen Maschinen einen selbst herbeigeführten Evolutionssprung zu einer posthumanen Zeit.
Für manche Anhänger der virtual reality eines perfektionierten cyberspace ließe sich kein wirklichkeitsrelevantes Unterscheidungsmerkmal mehr angeben zwischen der Realität, die unsere Sinnesorgane in der Begegnung mit Welt uns vermitteln, und einer "virtuellen Realität", die durch andere Formen einer neuronalen Reizung des Gehirns erzeugt würde.
In den Tagträumen von Poeten und Wissenschaftlern unserer Tage spukt die radikale Trennung der Menschen von ihrem Leib.
"Wenn Sie eine Maschine herstellen können, die den Inhalt Ihres Verstandes enthält, dann wäre die Maschine Sie. Zum Teufel mit Ihrem übrigen physikalischen Körper, er ist nicht besonders interessant"
Gerald J. Sussman.

Android des japanischen Unternehmens Honda In der Idee von der Übertragung des menschlichen Bewußtseins als Software eines technisch unsterblichen Computers. In der Idee von der beliebigen Vervielfältigung geklonter Körper als biologische Ersatzteillager. Ob der amerikanische Wissenschaftler das "zum Teufel" wörtlich gemeint hat?
Vierzig Tage geht Jesus in die Wüste.

2b Die ganze Zeit über aß er nichts; als aber die vierzig Tage vorüber waren, hatte er Hunger. 3 Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden. 4  Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot. 5 Da führte ihn der Teufel auf einen Berg hinauf und zeigte ihm in einem einzigen Augenblick alle Reiche der Erde. 6 Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen, und ich gebe sie, wem ich will. 7 Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. 8 Jesus antwortete ihm: In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen. 9 Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; 10 denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich zu behüten 11 und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. 12 Da antwortete ihm Jesus: Die Schrift sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
(Lukasevangelium 4,2b-12)

In der Erfahrung der Grenzen seines Leibes bereitet Jesus sich vor auf seine Sendung. Er muß der Versuchung widerstehen, in seinem Leib nichts anderes zu sehen als den Brennpunkt organischer Bedürfnisse. Sein Glaube sagt ihm: Der Leib lebt von mehr als von Brot! Jesus muß der Versuchung widerstehen, die Grenzen des Leibes zu kompensieren durch Macht über andere. Sein Glaube sagt ihm: Der Leib dient zum Dienen, nicht zum Herrschen. Als letzte Vorbereitung auf seine Sendung widersteht Jesus nach dem Lukasevangelium der Versuchung, den Glauben als Mittel zu mißbrauchen, um die Grenzen des Leibes aufzuheben.

  Gen-Daten
Unser Leib hat Zeiten, in denen er uns an Grenzen führt. Unser Leib hat auch Zeiten, in denen er uns Gipfelgefühle schenkt. Auf einen Berg nimmt Jesus seine Jünger mit, bevor er nach Jerusalem zieht.

29 Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes, und sein Gewand wurde leuchtend weiß. 30 Und plötzlich redeten zwei Männer mit ihm. Es waren Mose und Elija; 31 sie erschienen in strahlendem Licht und sprachen von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte. 32 Petrus und seine Begleiter aber waren eingeschlafen, wurden jedoch wach und sahen Jesus in strahlendem Licht und die zwei Männer, die bei ihm standen. 33 Als die beiden sich von ihm trennen wollten, sagte Petrus zu Jesus: Meister, es ist gut, daß wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Er wußte aber nicht, was er sagte. 34 Während er noch redete, kam eine Wolke und warf ihren Schatten auf sie. Sie gerieten in die Wolke hinein und bekamen Angst. 35 Da rief eine Stimme aus der Wolke: Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören. 36 Als aber die Stimme erklang, war Jesus wieder allein. Die Jünger schwiegen jedoch über das, was sie gesehen hatten, und erzählten in jenen Tagen niemand davon .
(Lukasevangelium 9,29-36)

Bevor Jesus vor dem Hohenrat und dem Gericht des Pilatus für sein Wort mit seinem Leib einsteht - bevor er für sein Wort seinen Leib zu Tode schinden läßt, offenbart Jesus den Jüngern, daß sein Wort und sein Leib zusammengehören. Sosehr gehören Leib und Wort zusammen, daß die Einheit beider zum blendenden Licht wird. Keine Hütte muß man bauen für den, der so in seinem Leib zu Hause ist.

Die Fastenzeit spricht von Versuchung und Verklärung, von Grenze und Gipfel, von Tod und Leben. Ein leibloser Glaube verliert beides. Und gewönne nichts. Es ist Zeit, vom Leib zu reden, gerade wenn's ums Fasten geht. Der Ruf der österlichen Bußzeit zur Umkehr zielt nicht auf bewußtlose Fasten- und Verzichtsübungen. Aber ebensowenig geschieht ein Bewußtsein der Umkehr ohne Fasten und Verzicht. Und wenn es nur um das Eine ginge: Zu der Erfahrung umkehren, daß wir nicht nur einen Körper haben, sondern daß wir Leib sind.

Dann erst läßt sich die Auferweckung Jesu von den Toten feiern. Feiern als Gottes Treue zu der Einheit von Wort und Leib: über den Tod hinaus.



Die beiden Abschnitte aus dem Lukasevangelium, Kapitel 4, Verse 1-12 und Kapitel 9, Verse 28-36 sind nach der Leseordnung der katholischen Kirche die Evangelienlesung für den ersten und zweiten Fastensonntag im

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Eine kürzere Fassung dieser Predigt ist erschienen in der Märzausgabe des "Anzeigers für die Seelsorge" (3/2001, Herder Verlag, Freiburg).

Das Zitat von Gerald J. Sussman, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), ist entnommen aus Jeremy Rifkin, Das biotechnische Zeitalter. Die Geschäfte mit der Genetik, München 1998. Ein lesenswerte Lektüre für die Fastenzeit!



Druckfassung





© Ulrich Sander

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