Was ist und was sein könnte





Ps 48,2-3a.9-11 2 Groß ist der HErr und hoch zu rühmen in der Stadt unsres Gottes, auf seinem heiligen Berge. 3a Schön ragt empor der Berg Zion, daran sich freut die ganze Welt. 9 Wie wir es gehört haben, so sehen wir es an der Stadt des HErrn Zebaoth, an der Stadt unsres Gottes: Gott erhält sie ewiglich. 10 Gott, wir gedenken deiner Güte in deinem Tempel. 11 Gott, wie dein Name, so ist auch dein Ruhm bis an der Welt Enden.


1. "Schön ragt empor der Berg Zion, daran sich freut die ganze Welt." Man möchte ins Träumen kommen und sich diesen Ort der Eintracht ausmalen, an dem sich die Völker der Erde versammeln in gemeinsamer Freude, mit Dank und fröhlichen Liedern. Die "ganze Welt" vereint in der Anbetung Gottes ­ über alle ethnischen Grenzen und Religionsgrenzen hinweg.

Im wirklichen Leben ist es noch nie so weit gekommen: "Schön ragt empor der Berg Zion, daran sich freut die ganze Welt." War das mehr als nur Wunschdenken der Beter, ein schöner Traum, der zu träumen auch bei Tag erlaubt war, damit das Gotteslob inbrünstiger, hoffnungsfroher gesungen werde? Wenn jedoch der Psalmist nicht nur seinem heimlichen Sehnen Ausdruck verleiht, dann muß es Zeiten gegeben haben, in denen der Gedanke an den Berg Zion tatsächlich zumindest Bilder der Freude hervorrufen konnte und solche, in denen menschliche Sehnsucht ihr Ziel erkannte.

  Der Tempelberg in Jerusalem  


2. Wie lange mögen diese Zeiten zurückliegen? Die Gegenwart zeigt den Zionsberg als Schlachtfeld. Nicht Freude erfüllt jetzt die Welt, die zum Tempelberg schaut, sondern Unverständnis, Schrecken, gar Entsetzen. Es wird gekämpft ­ mit Steinschleudern und Molotowcocktails auf der einen, mit Gummigeschossen und Panzern auf der anderen Seite. Haß und Gewalt, Bäche von Blut und Tränen. Wo Gott gelobt, gepriesen und angebetet werden soll, da hetzen Reden auf zum Krieg um die Stadt. Jede Seite macht der anderen den heiligen Berg streitig. Und hüben wie drüben führt man den Namen Gottes auf seinen Fahnen. Als könne Gott gewinnen, wer "die Stadt unseres Gottes" regiert. Offenbart sich hier nicht Gottfeindlichkeit?

Dabei ginge es auch ganz anders, der Psalmist gibt es vor: "Gott, wir gedenken deiner Güte in deinem Tempel." Nicht nur die Blicke, sondern alle Sinne, Herz und Verstand auf die Güte und Freundlichkeit richten, die Gott erweist - Juden, Christen, Muslimen, aller Kreatur ­, und der Macht der Liebe Gottes trauen.

3. Naiv? Vielleicht. Unmöglich? Nein. Jesus von Nazaret hat ein Beispiel gegeben, und in allen Religionen finden sich Menschen, die ihn nachahmen ­ bewußt oder unbewußt, unwissentlich. Es sind Menschen, die die eigene Herzensenge als Erschwernis für das Miteinander entlarven. Menschen, die versuchen, von Machtgelüsten abzulassen, weil diese andere ums Leben bringen können.

Ich glaube, der Verfasser des 48. Psalms hat zu ihnen gehört. Wäre es nicht wunderbar, wenn in Israel und Palästina alle diese Menschen ­ seien sie Juden, Muslime oder Christen ­ in der Absicht, ihren Gott zu loben, hinaufzögen zum "Berg Gottes" ­ und dort entdeckten, dass sie sich immerhin in diesem Bekenntnis einig sind: "Gott wie dein Name, so ist auch dein Ruhm bis an der Welt Ende."
Druckfassung



© Gundula Kühneweg 2001

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