![]() |
"Denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt":
Dieser Vers aus der Liturgie spricht von der Freude des Kreuzes -
ein Gedanke, der seit alters her vierten Sonntag der Fastenzeit
den Namen gibt: "Laetare" Dieses lateinische Wort heißt
übersetzt: "Freue dich". Der Name rührt vom Eröffnungsvers dieses
Sonntag her. Er beginnt mit den Worten: "Freue dich, Stadt
Jerusalem! Seid fröhlich zusammen mit ihr, alle, die ihr traurig
wart..." Wir können ergänzen: die ihr traurig und betrübt ward,
am Boden zerstört und aller Hoffnungen beraubt ward; denn das
Kreuz hat dem Leben Jesu ein brutales Ende gesetzt.
"Denn siehe durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt":
Der Vers spricht vom "Holz des Kreuzes". Das ist das Thema des
Karfreitags: das harte, kantige Kreuz. Wer als Kind schon einmal
ein Stück Holz in der Hand gehabt und sich einen Splitter
eingerissen hat, hat gespürt, wie weh Holz tun kann. Wir hören
auch, dass die Jünger hoffnungslos geworden sind. Und für viele
Menschen heute bedeutet der Tod das Aus, das Ende. Eine
Jugendstudie stellte im Jahre 1985 fest: Die Hälfte der
Jugendlichen glaubt nicht an ein Weiterleben nach dem Tod. Eine
ähnliche Untersuchung aus unserem Nachbarland Österreich ergab,
dass neunundvierzig Prozent aller Österreicher nicht an ein Leben
nach dem Tod glauben. Das Holz des Karfreitagskreuzes steht aber
auch unumgänglich uns im Weg, unumgänglich wandern wir auf unser
eigenes Kreuz zu. Niemand von uns weiß, welche Kreuze wir in
unserem Leben noch werden tragen müssen.
In der Feier vom Leiden und Sterben Christi am Karfreitag
verehren wir das Kreuz. Das in ein Tuch verhüllte Kreuz wird in den Raum der versammelten Gemeinde getragen.
Es wird dreimal feierlich erhoben und in drei Stufen enthüllt. Wir
sehen es zwar dann wieder ganz vor uns - aber unsere eigenen
Kreuze bleiben uns noch verhüllt. Ist unser Glaube also doch noch
eine spannende Angelegenheit? Stimmt es, dass unser Glaube vor
allem daran leidet, dass er entdramatisiert wurde - von wem und
wann auch immer? Und dass er nur noch spannend sei wegen der
zukünftigen Kreuze? Ich hoffe, dies trifft auf den Glauben jedes
einzelnen von uns hier nicht zu! Dass unser Glaube nur wegen
negativer Aussichten spannend sei...
"Denn siehe durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt": Wir gehen in der Karfreitagsfeier auf das Kreuz zu. Wir alle gemeinsam, jede und jeder für sich. Jede und jeder erhält einen persönlichen eigenen Zugang zum Kreuz Christi. Zum Kreuz, das Jesus den Tod brachte. Zum Kreuz, das über die Kreuze der Welt siegte. Zum Kreuz, dem Siegeszeichen des Auferstandenen. Aber zunächst steht es noch da als hartes Holz des Kreuzes, ernst und unumgänglich. Die Kehrverse und Lieder, die uns begleiten, sind ebenfalls ernst:
Wer sich dem Kreuz aussetzt, bekommt dessen Grausamkeit zu
spüren. Wer sich dem Kreuz anvertraut ... ja, sich Christus
anvertrauen, das geht. Wir heften gleichsam unser Vertrauen an
sein Kreuz. Dazu gehört es auch, im Rahmen des
Karfreitagsgottesdienst die sogenannten "Großen Fürbitten" vor
Gott hinzutragen. Damit bitten wir Gott, seinen Heilswillen
grenzenlos werden zu lassen. Nicht nur für uns, für alle
Menschen, gerade für die anderen bitten wir. Für wen und wofür
wir bitten, das kommt aus unseren Herzen und geht zu Herzen. Wir
öffnen uns, schauen über den Rand unserer Kirchengemeinden
hinaus. Wir nehmen die in den Blick, die ihre Kreuze zu tragen
haben.
Ausgeharrt haben Christen schon immer vor dem Kreuz. Aus dem
vierten Jahrhundert ist uns ein Bericht einer Pilgerin, Egeria,
aus Jerusalem erhalten geblieben. Egeria schreibt über die
Karfreitagsfeier in Jerusalem vom sechzehnhundert Jahren:
Schon in Jerusalem harrten die Christen im Leiden vor dem Kreuz
aus. Ihnen standen die Orte des tatsächlichen historischen
Geschehens unmittelbar vor Augen. Ihre Betroffenheit mag in einem
Sinne unmittelbarer gewesen sein, als sie es für uns heute ist,
die wir einem anderen Kontinent leben. Und doch sind Sie
eingeladen, vor dem Kreuz zu verweilen, jede und jeder für sich
persönlich. Hier lässt sich spüren: Ohne den wirklichen Tod Jesu
wäre auch keine Auferstehung nötig. Oder anders herum gesagt:
Nur, weil Jesus am Kreuz wirklich in den Tod gegangen ist,
deshalb ist er auch wirklich auferstanden.
Schauen wir am Karfreitag auf das Kreuz und verweilen wir - denn nur aus dem Verweilen heraus werden die wirkliche Freude der Osterbotschaft begreifen: "Denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt."
Amen.
Diese Predigt wurde im Rahmen eines Predigtzyklus zur Vorbereitung auf die Feier der Heiligen Woche in der Kirche St. Bernhard, Mainz-Bretzenheim, gehalten.
© Werner Müller-Geib Schreiben Sie an mueller-geib@predigthilfe.de |